#wirsindmehr & Hip- Hop: Ein gutes Zeichen

65.000 Menschen. Alt, jung, groß, klein, dick, dünn und aus allen Teilen Deutschlands. 65.000  Menschen die durch das Netz dazu aufgerufen wurden, für ihre Ideale zu stehen. Sie alle kamen zusammen, um gegen den Fremdenhass und die Gewalt zu demonstrieren, die sich nach dem 26.8 in Karl- Marx- Stadt entlud. Und das nicht wie der Krawall- Mob, bestehend aus Rassisten und Nationalisten, der nach dem Mord an Daniel H. in Chemnitz marodierend durch die Innenstadt und über den „Nischel“ zog, um Angriffe auf Migranten, Journalisten und Polizisten zu begehen, sondern friedlich. Mit einer Schweigeminute für den Ermordeten, mit Geldspenden für dessen Familie und vor allem mit eins: Musik, genauer gesagt mit Hip- Hop.

Denn mit Nura (SXTN), Casper, Marteria, Trettmann und Kraftklub/Felix Brummer standen neben den Jungs von Feine Sahne Fischfilet, den Beatsteaks und den Toten Hosen fünf Akteur*Innen auf der Bühne, die den momentanen deutschen Hip- Hop nicht nur mitgestalten und zum Teil massentauglich in das Bewusstsein der Menschen bringen, sondern auch die Flagge hochhalten für das was Hip- Hop ausmacht: Offenheit, Vielfalt und eine klare Kante gegen Ausgrenzung und Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Religion oder sexueller Orientierung. Werte, die auf die Beginne und Herkunft des Hip- Hop zurückgehen.

Aber ist das überhaupt relevant, wenn sich deutsche Hip- Hop- Chartstürmer wie Casper, Marteria oder auch Trettmann zu den Geschehnissen äußern? Sollte man die Themen Ausgrenzung und Rassismus nicht denen überlassen, die davon Opfer wurden? Haben Torch, Toni L. und Linguist nicht damals mit „Fremd im eigenen Land“ bereits alles gesagt? Für was braucht es die politische Haltung überhaupt im Rap?

Ja. Denn gerade das sich der deutsche Mainstream- Hip- Hop zu Wort meldet, zeigt wie ernst und wichtig das Thema momentan ist. Natürlich, Künstler wie die Antilopen Gang, Audio88 & Yassin, Sookee oder Megaloh thematisieren die Probleme seit Jahren in ihren Texten, doch erreichen diese eben nur eine kleine und spezifische Hörerschaft. Das sich nun aber Marteria oder auch SXTN melden, also Künstler*Innen, die im Radio gehört werden und die auf Spotifiy Streaming- Aufrufe im Millionenbereich haben, das ist in der Tat etwas Neues. Denn auf einmal kriegt eine breite Masse von Menschen mit, wo Hip- Hop hierzulande steht. Plötzlich wird die größte Jugendkultur und Musikindustrie hierzulande zum Sprachrohr und zum erlebbaren Hörbuch für die Geschichten der Künstler. Wenn Nura erzählt, wie sie aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert wurde und wird, dann hört das die ganze Republik. Und das ist gut so. Selbst wenn ein Künstler wie Marteria selbst vielleicht nie in Kontakt kam mit Rassismus, so ist es dennoch wichtig, dass er diejenigen unterstützt, die damit in Berührung kamen .

Genau deshalb können diese Erlebnisse auch nicht oft genug erzählt werden. Carolin Würfel von ZEIT online ärgerte sich in ihrem Artikel zu Chemnitz darüber, dass die eben erwähnten Gründungsväter auf der Demonstration fehlten, da es sie gebraucht hätte um den größeren Kontext zu vermitteln. Vielleicht hat sie damit recht und doch lebt die Message weiter in den vielen anderen Emcees da draußen. Sei es ein Megaloh, der sowohl in seinen Solo- Projekten, als auch mit der Band BSMG über den Rassismus speziell gegen dunkelhäutige Menschen spricht, oder ein Felix Brummer der früher Angst hatte als Linker im Osten von Nazis verprügelt zu werden. Oder ein Eko Fresh, der oft genug nur aufgrund seiner Rolle als „Quotentürke“ in deutsche Talkshow- Runden eingeladen wird. Sie alle fühlen sich fremd und haben Ausgrenzung und Gewalt erfahren. Und das ist nicht akzeptierbar.

Bleibt also die Frage, ob es ein öffentliches Bekennen zu freiheitlichen Werten nun grundsätzlich bedarf, schließlich empfinden auch viele Fans und Rap- Kollegen eine politische Äußerung als unangebracht und verteufeln sie a priori als reine Marketing- Maßnahme. Betrachtet man die gegenwärtige Trendbewegung im Mainstream, so kommen solche Gedanken vielleicht auch nicht von ungefähr. Die Texte und Themen drehen sich oft um materialistische Werte und der Fokus liegt auf dem protzenden MC. Würde es einen automatischen Markennamen- Namedrop- Counter geben, er würde aktuell wohl ins Unermeßliche steigen, dicht gefolgt von den Lobpreisungen auf Koks und Marihuana. Und natürlich, die Menschheit in der westlichen Welt, gerade die junge Generation, erlebt aktuell eine Zeit der unbekannten Unsicherheit und der politischen Abfucks. Und sich da auch noch mit Politik im Rap beschäftigen? Ja, gerade jetzt. Denn auch wenn es oft anders scheint, die jungen Menschen haben einen Einfluss. Deshalb ist es insbesondere wahnsinnig dope, das so viele junge Menschen nach Chemnitz kamen und mit ihren Rap- Idolen demonstrierten und feierten.

Natürlich, ändern wird der Auftritt der Künstler nichts. Zumindest wird er keine konkreten Änderungen hervorbringen, kein neues Konzept für den Umgang mit Xenophobie oder Integration entwickeln und doch wird er tausenden Leuten die sich aktiv für Nächstenliebe und Integration einsetzen ein Zeichen sein. Ein Zeichen das ausdrückt, ihr seid nicht allein. Auch wird er ein Zeichen an die restliche Szene schicken, die sich zum Teil hinterfragen muss, wieso sie so lange schwieg und auch weiterhin schweigen wird. Bleibt also zu hoffen, dass sich etwas in den Köpfen der Leute ändert.

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